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Nicht jede Körperverletzung endet in einer strafrechtlichen Verurteilung. Die eigentliche Rechtswidrigkeit des Vergehens entfällt, wenn aus Notwehr gehandelt wird. Das Recht, sich gegen gewalttätige Angreifer zu wehren, gab es jedoch nicht immer.
Im Jahr 1805 wurde ein bekannter Räuber, der zuvor aus dem Gefängnis geflohen war, bei einem Einbruch in eine abseits gelegene Mühle vom Müller erstochen. Ob es sich um Willkür oder doch Mord aus Notwehr handelte, lag zu dieser Zeit einzig und allein im Ermessen des zuständigen Richters bzw. hing von der Gnade der jeweiligen Landesherren ab.
Durch das Nicht-Vorhandensein eines Notwehrparagraphen kam es zu einem langwierigen Prozess, der von einer intensiven Diskussion zwischen den damals führenden Rechtsgelehrten begleitet wurde. Die äußeren Verhältnisse – vor allem die der Französischen Revolution – sowie der Druck der Öffentlichkeit führten dazu, dass neben dem Recht auf Notwehr ein eigener Paragraph zu diesem Thema eingeführt wurde. Noch heute ist die damalige Formulierung gültig.
FAQ: Notwehr
Hier finden Sie die Definition der Notwehr gemäß Strafgesetzbuch (StGB).
Nothilfe ist eine Form der Notwehr, bei welcher Sie eine andere Person durch Ihre Handlung schützen.
Hier finden Sie eine Erklärung für den Unterschied zwischen Notwehr und Notstand.
Eine Definition von Notwehr
Was ist Notwehr genau? Eine Definition lässt sich im Strafgesetzbuch wiederfinden. § 32 des Strafgesetzbuches, welcher auch unter dem Namen „Notwehrparagraph“ bekannt ist, besagt Folgendes:
- Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
- Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“
Die Notwehrlage
Es muss eine Notwehrlage gegeben sein, die in diesem Sinne als Rechtfertigungsgrundfungiert. Ein rechtswidriger, gegenwärtiger Angriff auf rechtlich geschützte Interessen oder Rechtsgüter erfüllt diese Bedingung. Erst dann handelt es sich um Notwehr gemäß StGB. Außerdem muss der Angriff von einem anderen Menschen ausgeübt werden.
Sollte eine drohende Verletzung aufgrund menschlichen Verhaltens drohen, dann geht es um einen Angriff auf rechtlich geschützte Interessen oder Güter. Dies ist ebenso der Fall, wenn beispielsweise ein Kampfhund von seinem Besitzer auf einen anderen Menschen gehetzt wird.
Doch ab wann ist es Notwehr? Damit eine Notwehrlage vorliegt, muss der Angriff gegenwärtig sein, sprich unmittelbar bevorstehen, bereits begonnen haben oder noch andauern. Er darf noch nicht beendet sein, da sonst das Recht auf Notwehr nicht mehr gegeben ist. Ein Beispiel hierfür wäre ein drohender Schlag ins Gesicht. Selbst, wenn die Faust Sie noch nicht getroffen hat, dürfen und sollten Sie sich wehren.
Die Notwehrhandlung
Sobald Sie angegriffen werden, dürfen Sie sich natürlich verteidigen. Dies muss jedoch innerhalb bestimmter Grenzen geschehen. Zudem muss es sich um einen gesetzeswidrigen Angriff handeln. Dies ist der Fall, wenn die Handlung einerseits im Widerspruch zur gültigen Rechtsordnung steht und andererseits auch nicht selbst gerechtfertigt werden kann. Dementsprechend ist es nicht möglich, Notwehr gegen eine Notwehrhandlung einzusetzen.
Die Handlung darf sich nicht gegen Dritte, sondern ausschließlich gegen die Rechtsgüter des Angreifers richten. Sie muss außerdem geboten sein. Es existieren durchaus Fälle, in denen Zweifel aufkommen, ob eine Notwehrhandlung wirklich notwendig gewesen wäre. Wird ein Erwachsener z. B. von einem Kind angegriffen, so geht es nur dann um Notwehr, wenn das Ausweichen unmöglich erscheint.
Die Nothilfe
Eine besondere Form der Notwehr ist die Nothilfe. Sie ist auch unter dem Begriff Notwehrhilfe bekannt. Es liegt dabei ebenfalls eine Notwehrhandlung vor, welche geleistet wird, um einer anderen Person zu helfen und diese zu verteidigen.
Notwehr als auch Nothilfe unterliegen in der Regel den gleichen Maßnahmen, die ergriffen werden dürfen, um entweder sich selbst oder eine andere Person zu verteidigen. Dementsprechend muss auch bei der Nothilfe laut StGB ein entsprechender Rechtfertigungsgrund vorliegen. Die Hilfe von Dritten muss jedoch nicht erbeten geschweige denn erwünscht sein.
Wird beispielsweise eine ältere Dame überfallen und der Angreifer ist im Begriff, ihr die Handtasche zu stehlen, dann liegt ein Grund vor, welcher die Nothilfe rechtfertigt. Die ältere Frau ist offensichtlich nicht in der Lage, sich zu verteidigen, weshalb Sie auch ohne Aufforderung das Recht haben, einzuschreiten.
Überschreitung der Notwehr
Bei einer Notwehr darf die Verhältnismäßigkeit nicht aus den Augen gelassen werden. Natürlich sollte sich die Notwehrhandlung dazu eignen, einen Angreifer abzuwehren und sich zu verteidigen, jedoch muss sie in jedem Fall das mildeste erforderliche Mittel sein. Es darf nicht mit dem Einsetzen einer Schusswaffe reagiert werden, wenn der Angriff auch durch einen Faustschlag hätte abgewehrt werden können.
Waren jedoch Dritte anwesend und können daher als Zeugen aussagen, kann das Ganze schon anders aussehen: Sind die Zeugen der Meinung, dass ein Faustschlag nicht ausgereicht hätte, um den Täter zu stoppen und der Einsatz einer Waffe absolut gerechtfertigt und nachvollziehbar war, dann wird die Tat als Notwehr gemäß Strafrechtgewertet.
Ob es sich um eine Notwehrüberschreitung handelt, wird jedoch stets im Einzelfall entschieden. Folgende Punkte spielen bei der Feststellung eine Rolle:
- Welche Art von Angriff lag vor?
- Wie gefährlich war der Angriff?
- Welche körperlichen Fähigkeiten hatte der Täter?
- Welche Mittel hat er eingesetzt, um den Angriff durchzuführen?
Die Notwehrprovokation
Von Notwehrprovokation wird gesprochen, wenn eine Person einen Angriff auf sich selbst provoziert. Dabei werden zwei unterschiedliche Situationen unterschieden:
- Wird der Angriff mit dem Ziel provoziert, die andere Person zu verprügeln, dies jedoch als Notwehr verschleiert wird (à la „Er/Sie hat angefangen!“), dann geht es selbstverständlich nicht um Notwehr.
- Wenn der Angriff jedoch unabsichtlich provoziert wird, beispielsweise durch eine Beleidigung, dann hat der Angegriffene die Pflicht, zu versuchen, dem Angriff erst auszuweichen, bevor er andere Maßnahmen zu seinem Schutz ergreifen darf. Diese müssen stets von defensiver Natur sein. Erst wenn dies nicht ausreicht, darf aktive Notwehr bei Beleidigungbetrieben werden.
Der Unterschied zwischen Notwehr und Notstand
Im Gegensatz zur Notwehr geht es bei einem Notstand nicht um einen rechtswidrigen, aktuellen Angriff, sondern um einen Zustand unmittelbar vorliegender Gefahr für rechtlich geschützte Interessen. Diese Gefahr kann zudem nur auf Kosten anderer Interessen abgewendet werden.
Wenn Sie beispielsweise von einem Hund angegriffen werden, ohne dass dessen Herrchen ihn darauf angesetzt hat, dann liegt keine Notwehrlage vor, da die Angriffe in diesem Fall von Menschen ausgehen müssen. Geht es jedoch um eine Gefährdung durch Gegenstände oder Tiere, dann gilt anstatt § 32 StGB § 228 BGB. Dort heißt es:
Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Hat der Handelnde die Gefahr verschuldet, so ist er zum Schadensersatz verpflichtet.“
Hat der Hundehalter seinen Vierbeiner jedoch angestachelt und auf einen anderen Menschen gehetzt, dann kommt § 32 StGB zum Tragen. Notstand ist zudem aufgeteilt in zwei Gebiete, den rechtfertigenden sowie den entschuldigenden Notstand. In § 34 StGBheißt es zum rechtfertigenden Notstand:
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“
Der rechtfertigende Notstand beruft sich demnach auf das Prinzip des überwiegenden Interesses.
Um einen bestimmten Zweck zu erreichen, wird die Rettungshandlung aufgrund der Abwägung von Gütern und Interessen als angemessenes Mittel angesehen.
Die Tat ist zudem nicht rechtswidrig, weil ein Rechtfertigungsgrund vorliegt.
§ 35 StGB widmet sich hingegen dem entschuldigenden Notstand:
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.“
Hier geht es um gleichwertige Interessen, die miteinander kollidieren. Dem Täter wird ein normgemäßes Verhalten nicht zugemutet, weshalb die Rechtsordnung Nachsicht walten lässt. Obwohl die Tat als rechtswidrig einzustufen ist, wird dem Täter keine Strafeauferlegt, da er ohne Schuld agiert.
Darf ich einen Einbrecher in Notwehr erschießen?
Im Jahr 2015 gab es einem Medienbericht zufolge in ganz Deutschland 167.136 Fälle von Wohnungseinbrüchen. Damit ist die Zahl um 9,9 Prozent gestiegen. Viele Deutsche sind sich unsicher, wie sie sich verhalten sollen, nachdem sie bemerkt haben, dass sich eine fremde Person im Haus befindet.
Der Polizei zufolge besteht bereits der erste Fehler darin, dem Einbrecher zu folgen um ihn zu stellen. Vielmehr sollten Bewohner den Notruf wählen und sich anschließend in Sicherheit bringen. Es ist immer unklar, wie sich der Einbrecher verhält, ob er aggressiv wird oder sogar bewaffnet ist.
Auch wenn Sie sich als Hobbyschütze mit Waffen auskennen, sollten Sie nur im äußersten Fall davon Gebrauch machen. Der Besitzer einer Werkstatt in Hannover hatte beispielsweise einem Eindringling von hinten in den Rücken geschossen und daraufhin erklärt, er habe aus Notwehr gehandelt.
In einem anderen Fall wurde ein Einbrecher von einem Mann aus Hamburg erschossen, nachdem dieser die Tür seiner Wohnung eingetreten hatte. Hier gingen die Polizeibeamten jedoch von Notwehr mit Todesfolge aus.
Die Putativnotwehr
Bei der Putativnotwehr geht eine Person davon aus, dass die Voraussetzungen einer Notwehrhandlung gegeben sind, obwohl dies nicht der Fall ist. Die betroffene Person rechnet in diesem Fall irrtümlich mit einem gegenwärtigen Angriff und meint, ihr Verhalten sei erforderlich. Denkt ein Jäger beispielsweise, eine andere Person würde mit einem Gewehr auf ihn zielen, dann handelt er nach bestem Gewissen in Notwehr und erschießt diese Person.
Sollte sich jedoch herausstellen, dass die andere Person lediglich aus Zufall mit einem Stock auf den Jäger gezeigt hatte, dann geht es um den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung. Es lag kein Angriff vor, also kann die Tat nicht durch Notwehr gerechtfertigt werden. Da der Jäger jedoch sein Leben in Gefahr sah, war er der Meinung, sich in einer Notwehrlage zu befinden und handelte dementsprechend.
Dieses Verhalten ist ebenfalls in einem Fall von Notwehr gegen die Polizei zu beobachten. Der Angeklagte, ein Mitglied des Motorradclubs „Hells Angels“, hatte im Jahr 2011mitbekommen, dass er von den Mitgliedern eines anderen Clubs, den „Bandidos“, umgebracht werden sollte. Zur gleichen Zeit war jedoch im Zuge eines anderen Ermittlungsverfahrens für die Wohnung des Angeklagten ein Durchsuchungsbefehlerlassen worden.